DOMINIK: Manchmal fürchte ich ein bisschen, dass irgendwann im Leben eine Phase kommt, in der man ganz schleichend, ohne es zu merken, den Glauben an die Jugend, so als Einstellungssache, verliert; Wenn ich das späte Tagebuch lese, ist dieser Gedanke ziemlich präsent.

ERIKA PLUHAR: Jugend ist keine Frage des Alters. Wenn du die Jugend als ein geistiges Prinzip siehst, dann siehst du viele junge Leute, die steinalt sind und alte Leute, die jung sind. Aber du meinst, wenn du das späte Tagebuch liest, dann macht dich das traurig?

Nein, es ist mein Lieblingsbuch von dir!

Weißt du, ich bin eine Befürworterin dessen, dass man zu seinem Alter steht. Ich fand den Hinweis, eine Dame frage man nicht nach dem Alter, immer blödsinnig. Es ist keine Schande, älter zu werden und alt zu werden. Das geschieht jedem. Als ich knapp über vierzig war, habe ich ein Lied geschrieben, das ich jetzt noch zitiere. »Was heißt das nur, ich werde alt?«, singe ich da und…

»Mehr denn je«

…das kann ich jetzt mit über achzig noch singen und es stimmt genauso. Solange man nicht geistig oder körperlich versagt. Das sollte schon halbwegs in Ordnung sein. Vor allem der Geist. Abgesehen davon, dass ich mir Namen nicht gut merken kann. Aber das hatte ich in der Jugend schon.

Und je älter ich wurde, desto mehr ließ ich diesen Gedanken ans Altern zu, und auch an den Tod. Ich wurde ja mit sechzig Jahren sehr mit diesem Thema konfrontiert, durch den Tod meiner Tochter. Auf das Schrecklichste eigentlich. Auf das Tödlichste. Damals war mein Enkelsohn fünfzehn Jahre alt und hatte keine Familie. Ich hätte mich dazumal wirklich gerne davongemacht. Aber der Ignaz hätte einfach niemanden gehabt.

Und irgendwann, ganz langsam, kam ich auch wieder in das Leben zurück. Weil das Leben sehr stark ist. Es meldet sich dann mit Äußerlichkeiten, verstehst du. Plötzlich hört man sich selbst wieder lachen. Oder etwas schmeckt einem unversehens sehr gut. Das sind Trivialitäten. Aber dadurch kommt es zu einem zurück. Und ich habe auch nie versucht, dieses Thema zu verdrängen. Wenn mich der Gedanke daran ereilt, dann halte ich ihn aus, auch wenn ich ihn nicht begreife. Man kann es ja schließlich nicht fassen, dass es einen irgendwann nicht mehr geben wird.

Verheilen diese Wunden? Oder sollen sie überhaupt verheilen?

Meine erste Schallplatte hieß Narben. Da hatte ich das noch vor mir. Und vorne drauf stand: »Der Schnitt schmerzt, aber die Wunde ist zu ertragen, wird Narbe, unverlierbar, ein Schriftzug.« Diese Wunde vernarbt zwar, aber manchmal bricht sie wieder auf.

Da ist eine sehr schöne Zeile von Leonard Cohan: »There´s a crack in everything, that´s how the light gets in.«

Ja. Natürlich wäre ich gerne ohne diese Verwundungen ausgekommen, aber sie bringen einen natürlich gewissermaßen weiter. Es fällt leichter, den Unfug vom Wichtigen zu unterscheiden. Weise wird man aber nicht. Den Ärger, zum Beispiel, hab ich mir nie ganz abgewöhnen können. Du solltest mich erleben, wenn ich den Trump im Fernsehen sehe. Dann erkenne ich eine Fülle an Schimpfworten in mir, von der ich nicht wusste, dass ich sie besitze. Aber ich bin gottseidank meist alleine hier.

Gewisses sollte man sich gestatten. Das Weinen, das Unglücklichsein, den Ärger. Wenn ich weinen möchte, dann weine ich.

Im späten Tagebuch gibt es eine schöne Szene: rund um Paulinas Haus werden die Bäume gerodet und sie verfällt in eine Depression und steigt tagelang nicht aus ihrem Bett. Und irgendwann entscheidet sie, neue Bäume pflanzen zu lassen, und es ist ein bisschen als würde sie selbst auch ganz neu aufblühen.

Ich werde ja auch selber wahnsinnig, wenn hier die Bäume gefällt werden. Das ist schrecklich. Als der Ignaz noch ein kleiner Bub war, ging er dort drüben in den Kindergarten. Der hat sich dort geniert für seine Oma, weil ich brüllend hinübergelaufen kam, als wieder irgendein schöner Baum gefällt wurde.

[Gelächter]

Muss man sich mitunter verlieren, um sich zu finden?

Das glaube ich schon. Man soll sich nicht nur in sich selbst verkriechen. Die Konfrontation mit der Umwelt soll man sich schon in gewisser Weise bewahren.

Schreibst du eigentlich mit Stift und Papier, oder auf der Tastatur?

Auf dem Tisch hinter dir schreibe ich jeden Tag in mein Tagebuch, und zwar mit Tinte und Feder. Das mache ich jeden Morgen. Nach dem Kaffee. Das war rückblickend auch eine Methode, um zu überleben. Ich nenne meine Tagebücher auch Klagebücher. Und auch meine Nachdenkbücher. Weil ich das Gefühl habe, dass ich nur wirklich gut nachdenken kann, wenn ich schreibe.

Bist du dir und anderen gegenüber schonungslos in deinen Klagebüchern?

Naja. Ich versuche immer, meine Eindrücke niederzuschreiben. Und da bin ich nicht unbedingt zimperlich. Weder zu anderen, noch zu mir selber. Man muss sich ja auch selber immer wieder auf die Schliche kommen. Im Grunde ist es ein Dialog mit mir selber.

Und die Bücher schreibst du auch mit der Feder?

Wenn ich einen Plot habe, der gut ist und etwa zwanzig oder dreißig Seiten lang, dann versuche ich, ein Buch daraus zu machen. Das schreibe ich dann dort hinten auf dem Laptop. Und im Gegensatz zu vielen anderen schreibenden Menschen lasse ich mir die Geschichte erzählen.

Von dir selber.

Genau. Während ich schreibe, komme ich in Gegenden, von denen ich bis dahin selbst nicht wusste. Und dadurch bleibt es immer spannend. Und Blockaden habe ich auch keine.

Unmöglich.

Schau, ich war jahrzehntelang beim Theater. Und wenn es dort dreimal geläutet hat, dann musste man auf die Bühne. Da konnte man sich auch keine Blockaden erlauben.

Aber deine Bücher wirken so schön komponiert. Machst du dir darüber während des Verfassens keine Gedanken?

Bei mir ist es immer notwendig, dass ich das Geschriebene, seien es eine, zwei oder drei Seiten am Tag, anschließend ausdrucke. Der Computerbildschirm ist schon etwas Tolles, aber erst wenn ich es auf Papier sehe und es mir laut vorlese, sehe ich Dinge, die mir nicht gefallen. Und ich habe zwei sehr gute Lektorinnen.

Und wenn du auf der Suche nach einem gewissen Wort oder einer Formulierung nicht weiterkommst?

Dann überlege ich mir den Satz von Grund auf neu.

Ja? Aber an manchen Satzentwürfen hängt man doch.

Nein, ich klebe nicht an den Satzstrukturen. Ich versuche mir dann einfach einen anderen Einstieg auszudenken. Aber ich verbringe schon auch viel Zeit vor dem Schirm. Das ist für mich wie eine Bastelarbeit. Und ich bastle so lange, bis sich der Text für mich geschmeidig anfühlt.

Erinnerst du dich an deine erste Begegnung mit Literatur?

In der Schule habe ich immer vorgelesen.

Die Schule hast du sehr geliebt, oder?

Du musst dir vorstellen: Ich bin 1939 geboren, dann habe ich sehr dramatisch das bombardierte Wien erlebt. Vieles in meinem Leben habe ich vergessen, aber aus dieser Zeit sehe ich noch jedes Bild klar und scharfgezeichnet vor Augen. Die Angst. Die Sirenen. Ich kann heute noch keine Sirene hören. Manchmal gibt es diese Übungen, das ist schrecklich. Irgendwann war der Krieg vorbei und ich begann, in die Schule zu gehen. Und ich war so glücklich dort. Es fielen endlich keine Bomben mehr. Ich durfte lernen zu schreiben und zu lesen. Von der ersten Volksschulklasse bis zur Matura war ich Vorzugsschülerin. Aber nicht weil ich das sein wollte, sondern weil ich so eine Freude daran hatte, zur Schule zu gehen. Und als es irgendwie ging, habe ich begonnen, Geschichten zu schreiben, dazu zu zeichnen. Habe Büchlein gemacht. Im Gymnasium habe ich dann oft Gedichte aufgesagt.

Ich hatte auch eine tolle Geschichtsprofessorin, die uns ganz offen vom Holocaust erzählte. Und ich hatte eine Direktorin, die sozialdemokratische Jüdin war. Und Abgeordnete. Das war wunderbar. Und so bin ich natürlich schon in jungen Jahren Antifaschistin geworden, habe meine Eltern zur Sau gemacht, die zwar keine Mörder waren, aber Nazis.

Kannst du dich an ein Buch oder ein Gedicht aus dieser Zeit erinnern?

Ich war manchmal mit meinen Eltern beim Heurigen. Und habe Tränen vergossen bei Das Glück ist ein Vogerl. »Es lasst si schwer fangen, aber fortg’flogn is glei.« Da habe ich furchtbar geweint.

[Gelächter]

Und die blödesten Schlager habe ich mir angehört. »Marina, Marina, Marina« Alles was der Peter Kraus gesungen hat. Ich will das jetzt gar nicht erzählen, sonst bleibt mir das sofort wieder im Kopf hängen. Ich hab mir alles gemerkt. Natürlich auch Gedichte. Der Mond ist aufgegangen.

O wie schön.

Lustigerweise habe ich mir die vielen Rollen, die ich am Theater gespielt habe, worunter auch Klassiker waren, überhaupt nicht gemerkt.

Ehrlich?

Null! Wenn man alle diese Rollen im Kopf behält, wird man einfach wahnsinnig. Ich hatte zwar nie Textprobleme am Theater, die Souffleuse habe ich so gut wie nie gebraucht, aber sobald die letzte Aufführung ihr Ende fand, war der Text aus meinem Kopf.

Fantastisch.

Und wenn das Stück wieder aufgenommen wurde, auch das kam manchmal vor, konnte ich mir den Text wieder relativ leicht ins Gedächtnis holen. Das ist überhaupt so eine Sache mit dem Text. Da hab ich Sachen erlebt…

Bitte erzähl.

Also da waren zum Beispiel Schauspieler, die ihren Text vergessen hatten und man musste deren Zeilen auch noch sagen. Ewald Balser, der Name sagt dir gar nichts mehr, spielte in einem Stück, glaube ich, einen alten Vater von mir. Und ich sah, wie er mir gegenüber glasige Augen bekam und ich merkte, dass er seinen Text vergessen hatte. Es war aber ein Dialog. Und irgendwie hab ich es geschafft, meine Sätze zu sagen und seine auch. Ich war im Anschluss fix und fertig und ich glaube, es war die letzte Aufführung mit Ewald Balser. Und dann gab´s den Raoul Aslan, ein toller homosexueller Schauspieler, der eine Zeit lang in der selben Gasse wohnte, wie ich. Das war die Weyrgasse. Und es existierte auch eine Payergasse. Da gab es natürlich oft Verwechslungen. Und der Raoul Aslan hat dann dazumal dem Taxifahrer gesagt: »In die Weyrgasse – W wie Wolllust.«

[Gelächter]

Das sind so Anekdoten. Als der Achim Benning dann Direktor wurde, gab´s schon ein paar wunderbare Arbeiten. Die Sommergäste von Gorki zum Beispiel. Nur war eben irgendwann Schluss. Als ich sechzig war, hab ich dort aufgehört. Und das war sehr gut.

Die russischen Stücke waren dir immer lieber als die französischen, oder?

Ich war eine gute Russin. Tschechows und Gorkis habe ich sehr gerne gespielt. Dafür war ich in gewisser Weise prädestiniert.

Turgenjew habe ich auch gerne gespielt. Ein Monat auf dem Lande. Aber sehr schön war Sommergäste. Erst letztens, als uns Corona noch nicht erreicht hatte, habe ich mir eine Aufzeichnung davon angesehen, gemeinsam mit den letzten Überlebenden, denn viele, die damals mitgewirkt haben, sind leider schon tot. Und das war wirklich wunderbar. Ich fand mich auch sehr gut. Es war schön, nach vierzig Jahren sagen zu können, dass ich wirklich gut war. Und fesch.

Hast du dich damals nicht gut gefunden?

Damals hab ich es einfach gemacht. Ich hab gar nicht gewusst, dass ich so gut war, und schön aussah mit meinem Zopf. Ich war eigentlich von mir sehr angetan und froh darüber, dass ich so zurückblicken konnte.

Womit ich jetzt übrigens immer wieder großes Staunen errege, ist dass ich dreimal die Buhlschaft abgelehnt habe.

Dreimal?

Dreimal! Darüber sind oft alle ganz verblüfft.

Ist die so begehrt, die Rolle der Buhlschaft?

Du wirst ein Star, wenn du sie spielst. Du hast fünf blöde Sätze. Und hübsch musst du sein. Viele interessiert am Jedermann bloß, wer die Buhlschaft spielt und was sie anhat.

Den Jedermann habe ich noch nie gesehen.

Ach, sei froh! Ein ganz blödes Stück!

Aber sehenswert, oder nicht?

Na, du kannst ihn dir ja mal ansehen, aber das funktioniert meiner Meinung nach nur gut, wenn der Curd Jürgens und die Senta Berger das spielen. Einmal hat eine etwas korpulentere Schauspielerin die Buhlschaft gespielt und dann hat man sich darüber aufgeregt, dass sie nicht schön genug war. Es ist wirklich ein blödes Stück.

Moralisch halt.

Ja, schrecklich.

Was macht denn diese Buhlschaft so interessant?

Ich weiß es wirklich nicht. Es ist eine schlechte Rolle. Und es wurde ein Hype. Dieses Wort ist für mich ein Feind. Wenn etwas zu einem Hype wird, kannst du es eigentlich schon vergessen.

Meinst du, weil das dann in den Medien ausgetragen wird und nicht mehr im realen Leben?

Ja, genau. Man muss richtig aufpassen, dass man nicht zu einem Hype wird, einfach weil man sich dann verbraucht. In dieser Hinsicht bin ich froh, dass mir das nie passiert ist. Ich habe nie irgendeinen Blödsinn gespielt. Auch keine Kommissarin oder eine Rolle in einem Rosamunde Pilcher-Film.

Und, stell dir vor, ich habe in meinem Leben noch nie ein Casting gemacht!

Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, oder?

Man kann es sich heute nicht mehr vorstellen. Ich habe einfach ein Drehbuch bekommen, habe es gelesen und habe Ja gesagt, oder abgelehnt.

Bei Bel Ami hat man dich nach einem Treffen mit dem Regisseur direkt für die Rolle angestellt.

Bei Bel Ami war es Helmut Käutner, der mich zum Tee einlud. Der war wirklich ein Netter. Und bis zu seinem Tod war ich sehr mit ihm befreundet. Mit dem habe ich mich damals unterhalten und dann sagte er, wir machen das.

Jetzt möchte ich dich nochmal etwas zu deinen Büchern fragen. Es wird ja weniger erlebt darin, sich aber viel erinnert. Hält man sich in gewissen Lebensabschnitten an die Anekdote?

Wenn du erzählst, berichtest du von Geschehnissen, die schon einmal waren. Auch wenn du ein fiktives Buch schreibst, erzählst du eine Geschichte, die sich in der Vergangenheit ereignet hat. Und wann immer ich schreibe, schreibe ich mit der Kompetenz des Erfahrenen. Ich bin niemand, der viel recherchiert. Wenn ich Geschichten erfinde, erfinde ich sie aus meinem Erfahrungsschatz.

Trotzdem. Deine Charaktäre erleben zwar auch, während sie berichten, erzählen aber die meiste Zeit von Erinnerungen. Die Paulina Neblo zum Beispiel.

Aber dafür kommt sie schlussendlich in eine ganz gute Gegenwart hinein.

Das ist wahr.

Das ist immer ein großes Bedürfnis von mir. Ich möchte den Leser auf keinen Fall in einer gänzlichen Finsternis zurücklassen. Irgendein Lichtlein von Hoffnung oder Möglichkeit gönne ich den Menschen in meinen Büchern immer.

Melancholie ist ja nicht unbedingt finster, sondern kann auch schön sein.

Melancholie ist auch gar kein schlechtes Gefühl!

Zumindest nicht immer.

Gar nicht. Das ist überhaupt nicht mit der Depression zu vergleichen. Ich weiß in Ansätzen, was Depressionen sind. Ich war früher einmal magersüchtig. Und ich bin zwar kein depressiv erkrankter Mensch, aber ich weiß, was eine Depression mit einem anstellen kann. Und das ist etwas gänzlich anderes als Traurigkeit oder Melancholie. Trauer und Schmerz sind lebendig, während die Depression das Leben verbietet. Ich habe nichts gegen eine Wehmut. Aber es ist schon ganz gut, wenn man dann wieder auftauchen kann.

Welches Buch hast du zuletzt gelesen, das dich beflügelt hat?

Ich lese so viel, dass mir jetzt kein Titel einfällt.

Ich weiß aber, dass du den Briefwechsel magst, von – mir fällt der Name nicht ein – vom ehemaligen Präsidenten der Tschechoslowakei.

Václav Havel.

Genau der.

Die Briefe an Olga. Ich hab mir dieses Buch jetzt neu gekauft, weil es wieder erhältlich war. Es waren zwei Personen in meinem Leben, die mir wirklich einen Hinweis gegeben haben. Das war Mahatma Ghandi, der gesagt hat: »Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst.« Und der Václav Havel mit seiner Verantwortung, die er nicht irgendjemand anderem, sondern sich selbst gegenüber hatte. Der war ja schon älter, als er in´s Gefängnis kam. Und als er jünger war, da betrat er eines Nachts in Prag eine Bahnstation. Und es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Obwohl er durchaus hätte schwarzfahren können, warf er das Geld in den Automaten ein. Aus Verantwortung sich selbst gegenüber. Das sind diese kleinen Momente, in denen keiner zuschaut und man einfach für sich selbst etwas verantworten muss.

Das ist dir sehr wichtig. Dass Menschen ohne Rücksicht auf Verluste ihre Haltung vertreten.

Man soll sich bewusst sein, dass man eine Verantwortung für sich selbst hat. Für sein eigenes Handeln und sein eigenes Denken und sein eigenes Verhalten. Auch das völlig Unbeobachtete.

Was erst einmal Reflektiertheit erfordert.

In meinem Beruf wurde ich ja ständig beobachtet. Und auch dabei war mir wichtig zu lernen, dass ich es nicht für die Leute tu, sondern für mich. Ich spielte mit der Absicht, gut zu sein, und dennoch ganz absichtslos.

Das ist richtig schwer!

Sehr schwer!

Und wenn du Lieder schreibst? Hast du kein Publikum vor Augen, zu denen du singst?

Nein. Ich singe erst einmal zu mir. Zuallererst mache ich immer alles nur für mich. Ich denke überhaupt nicht an Leser oder Zuhörer. Erst wenn ich überlege etwas herauszugeben, denke ich an ein Publikum. Während des Schreibens bin ich aber ganz bei mir.

Gibt es Bücher in deinem Repertoire, die du uns vorenthältst?

Nein nein. Das gibt´s nicht.

Weißt du, was mich an deinen Romanen fasziniert? Obwohl zu keiner Zeit irgendetwas Spektakuläres passiert, kann man nicht aufhören, zu lesen.

Wenn du mir das sagst, freue ich mich natürlich.

Mich hat das manchmal an Keyserling erinnert.

Mit Keyserling kenne ich mich nicht so gut aus. Ist es bei dem auch so?

Er schreibt wunderschön impressionistisch. Ohne große Geschehnisse.

Ja, also große Geschehnisse gibt es bei mir auch nicht. Aber welche, die mir wesentlich erscheinen.

Wesentliche Geschehnisse finde ich weitaus angenehmer als ständige Spektakel.

Spektakulär zu sein ist auch nicht meine Intention. Meine Bücher sind auch nie zu großen momentanen Bestsellern geworden, aber zu Longsellern. Meine Verlage haben lange zu tun mit den Hardcovers und Taschenbüchern. Ein Bestseller braucht heute einfach etwas Reißerisches.

Also: Man nennt mich manchmal pro forma die Bestsellerautorin, aber in dem Sinne bin ich das nicht.

Bestseller sind ohnehin oft nicht die wirklich großen Bücher.

Stimmt. Ich lese auch selten Bestseller. Aber ich war traurig, als Amos Oz im Dezember 18´ gestorben ist.

Der sagt mir nichts.

Das sind Bücher nach meinem Herzen. Sieh dir den mal an. Über dessen Tod war ich wirklich traurig.

Letzte Woche ist Juliette Greco gestorben.

Ja, stimmt. Von ihr habe ich mir viel angesehen. Aber ich muss dir ehrlich sagen, obwohl sie eine sehr einprägsame Figur war, war sie nie wirklich mein Idol. Da waren andere in Frankreich, die ich mehr mochte.

Hast du Greco einmal persönlich getroffen?

Nein, das nicht.

Ich war am Wochenende ein bisschen irritiert, weil ich las: »Die Muse von Sartre ist tot«.

Ach die war doch gar nicht die Muse vom Sartre.

Muse ist halt ein blödes Wort.

Ja. Das war die Zeit damals. Sie war eine typische Existenzialistin.

Und unabhängig. Auf beeindruckende Weise trotz allem unabhängig. Aber diese Idee der Muse…

Meistens sind die Musen von Männern die, die ihnen den Haushalt führen und die Kinder erziehen. Männer haben diese Musen sehr oft. Frauen haben solche Männer selten an der Seite. Mich hat man ja lange mit dem André Heller in einen Topf geworfen. Und ich habe wirklich daran arbeiten müssen, obwohl ich ihn privat sehr mag. Aber das ist typisch für die Medien. Bei der Greco müssen sie den Sartre erwähnen.

Mhm.

Sie ist selber etwas gewesen. Der war halt ein Bekannter von ihr, der Sartre. Aber die war sehr eigenständig und hat gemacht, was sie machen wollte.

Letztens habe ich ein Lied von ihr gehört, das mich ganz sentimental gemacht hat, so schön war es.

O schön. Ja, auch ich weine, wenn ich etwa vor dem Fernsehapparat sitze und etwas Berührendes sehe. Dann weine ich auch gerne.

Wenn du den Trump siehst. Aus Verzweiflung.

Nein mit dem Trump schimpfe ich.


Interview vom 30 • September • 20 in Wien

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