DOMINIK: Matthias, Du bist ja jetzt 46…

MATTHIAS STROLZ: 47 werd ich bald.

Auf dieser Reise zu dem fast 47-jährigen Matthias Strolz, der Du jetzt bist – gab es da irgendwelche Erlebnisse, oder Erfahrungen, von denen Du besonders viel gelernt hast & die Dich besonders geprägt haben? Richtige Gamechanger quasi?

Naja, also die Kindheit natürlich. Die hat mir ein großes Urvertrauen geschenkt – das Vertrauen an das Gute, auch in das Gute im Menschen, in das Leben. Das ist quasi die robuste Basisausrüstung, die ich da mitbekommen hab

Woher kommt dieses Urvertrauen?

Aus dem Elternhaus, glaub ich. Aus diesem Umfeld – ein sehr geerdetes, bergbäuerliches, katholisches Umfeld, das auch irgendwo in einen Glauben gebettet war , der jetzt aber nicht mehr meiner ist. Aber das Grundsubstrat teile ich mit dem Glauben meiner Mutter – obwohl wir wahrscheinlich unterschiedliche Gottesbilder haben. Meiner ist wahrscheinlich viel abstrakter. Aber dieses Urvertrauen als Bergbauernkind in einer glücklichen Familie aufzuwachsen – eingewoben in den Kreislauf der Natur. Auch eingewoben zu sein in eine Großfamilie mit mehreren Generationen. Das Leben und das Sterben zu sehen in den unterschiedlichsten Ausprägungen – das hat mir viel mitgegeben.
Die Jugend war dann ein bisschen wilder. Und auch nicht immer einfach …  Unglücklich verliebt … Das hat mich geprägt … eine Dreiecks-Beziehung … schwierig. Ich hatte eine gewisse Sprachlosigkeit in der Jugend.

Inwiefern Sprachlosigkeit?

Naja, dass ich meine Herzschmerz-Themen und Männer-Themen eigentlich mit niemandem besprechen konnte. Mit den Eltern waren solche Dinge auch nicht wirklich besprechbar. Ich glaub, das ist auch nicht unüblich für meine Generation. Wie ist das bei dir? Konntest Du mit Deinen Eltern über solche Themen reden?

Das hängt wahrscheinlich sehr von der Beziehung ab, die man zur Familie hat. Aber bei mir ist das, offen gesagt, ganz ähnlich.

Vielleicht gehört das auch dazu in der Jugend – dass man sagt “mit denen will ich das jetzt nicht ausverhandeln”. Weiß nicht.
Mich haben damals auch so Dinge beschäftigt wie: Muss ich tatsächlich als Jungfrau in die Ehe?. Also da hab ich gemerkt, so mit 14-15 Jahren, das geht sich nicht aus. Obwohl ich noch lange weg war vom ersten Sex – also schon wild herumexperimentiert – aber jetzt nicht hardcore sexuell.
Und das hat mich sehr beschäftigt. Das war auch ein erster Gamechanger – und eine gewisse Entfremdung aus dem behüteten Nest. Wobei ich das damals nicht bewusst wahrgenommen habe – da war auch sehr viel Alkohol dabei – das war damals sehr männlich. Da habe ich mich gespürt.
Ich mach auch grad einen Film für Puls4 über die “Spezies Mann” und dafür hab ich gestern Nacht noch die Texte fertig geschrieben. Und da musste ich dann natürlich auch an meinen Vater denken, der jetzt schon 4 Jahre verstorben ist.
Ja, und das war gestern Nacht gar nicht einfach, weil mein Vater auch kein klassisches role model war und er eigentlich dieses klassische, männliche Rollenbild am Land nicht erfüllt hat. Er hatte ein bisschen zwei linke Hände und am
Stammtisch war er jetzt auch nicht der Held. Und damit hat´s dann gedauert bis ins weite Erwachsenen-Alter hinein, bis ich ihn auch zu meinem “Helden” nehmen konnte.
Er war auch früher eher zu verhaltensoriginell, als dass ich als Bub gesagt hätte: “So will ich auch werden”. Also, wie gesagt, am Stammtisch war er jetzt nicht der Größte. Heute ist das für mich unter anderem ein Teil seiner Heldenhaftigkeit – dass er seinen eigenen Impulsen gefolgt ist. Er hatte auch einen guten Humor über sich selbst, war unglaublich verlässlich, hatte einen großartigen Familiensinn, war auch für seine Generation – sehr weltoffen. Er hat auch fast ein Jahr in Paris gelebt, auch in Innsbruck. Also für einen nicht-akademischen Kontext war das eigentlich sehr polyglott, finde ich.

Ja, absolut.

Ja. Und er hat dann in ein bäuerliches Milieu geheiratet. Oder eigentlich nicht gleich auf den Bauernhof, aber später haben sie dann eine Landwirtschaft übernommen. Und das war eigentlich nicht so seine Königsrolle. Aber irgendwie hat er es trotzdem geliebt – ambivalent. Er hat sich dann auch irgendwann “Ranger” genannt – stolz auf seine Latifundien. Eh nicht viel, aber mit einem gewissen Augenzwinkern. Und ich war dann irgendwann der “Mini-Ranger”. Ich war quasi die Karikatur auf ihn.
Ich kann mich noch erinnern, als mir als Kind, ich war so ungefähr 9, beim Skifahren ein etwa 1,95m großer Mann beim Übungslift den Bügel unter den Po geschoben hat und meinte: “Ah, der Mini-Ranger”. Das war damals groß für mich. Das ist mir ziemlich eingefahren. Sonst wüsste ich´s nicht mehr.
Und dann hab ich mir gedacht: “Denen zeig ich´s noch allen!”. Ich bin dann Schriftführer geworden von der Musik, erster Klarinettist, Schulsprecher , auch Landesschulsprecher , ÖH-Vorsitzender und Unternehmer und Ehrenamtlicher über all die Jahrzehnte.
Das Landesschulsprecher-Sein war auch ein Gamechanger. Da konnte ich mir dann selber die Unterschriften geben für Entschuldigungen.

Da hab ich dann jedes Seminar besucht, das ich finden konnte in Österreich, weil die Schule war mir damals einfach zu “eng”.

Und Du hattest als Landesschulsprecher dann auch direkt ein Büro in…

…Bregenz. Genau.

Ganz schön viel Verantwortung.

Ja, stimmt! Viel Verantwortung!  Bregenz war ja auch sehr verdächtig. Das war Unterland. Und das Unterland war quasi nahe an Sodom und Gomorra. Wir haben dort auch mehr als zwei Fernsehsender gesehen – die Schweizer und die Österreicher. Sehr verdächtig…

Ja… fast schon ein bisschen versaut

Das kennst Du sicher – vom Land, zum Beispiel, auf Wien schauend. Dieses Sentiment, das einem als Kind eingepflanzt wird: “Die Wiener sind keine Guten… sehr verdächtig!  Zu viele Optionen! Zu weit weg von den alten Traditionen.” Naja…

Da hast Du sehr recht.

Aber die Welt muss zuerst klein sein, dann kann sie groß werden. Und sie wurde auch Schritt für Schritt größer und dann kam der Landesschulsprecher-Posten und so weiter.

Dann kam ja auch Dein Auslandsjahr in Dublin…

Das war eine tiefe Erfahrung.

Wie war das für Dich?

Erstens war´s das erste Mal, dass ich wirklich Geld hatte. Ich hab ein Stipendium bekommen und ein Sonder-Stipendium oben drauf. Und da hatte ich zum ersten Mal wirklich Geld. Das ist ja mal wirklich toll! Wenn du beim Bier-Trinken nicht überlegst: was kostet das?, sondern einfach trinkst.

War das auch das erste Mal, dass Du im Ausland warst?

Wars nicht, nein. Wir waren schon, als Familie, immer wieder im Ausland. Und ich war auch nach der Matura zum ersten Mal am Meer. Aber wir haben auch viele Urlaube in Österreich gemacht – aber nie zu lange. Das war nicht so einfach, als Landwirte. Da musst du ja arbeiten, wenn´s schön ist und im Winter bist du sowieso daheim Skifahren.
Aber Dublin – das war schon was Besonderes. Du wirst aus deinem sozialen Kontext herausgerissen, kommst in einen neuen sozialen Kontext, wo es ganz viele Schicksalsgefährten gibt. Nämlich solche, die auch temporär für ein Jahr all ihre sozialen Bande getrennt haben. Damals gab´s ja auch noch kein Handy. Ausland
war wirklich Ausland! Da konntest du nicht jeden Tag schauen, was die Familie macht, oder welchen Status der Freund hat.

Du warst quasi im wahrsten Sinne des Wortes “weg”.

Genau! Da warst du wirklich “weg”! Und ja, zu Weihnachten bin ich heim geflogen. Aber ich hatte auch keine wirklichen Verpflichtungen – es war für mich gesorgt. Du musstest halt schauen, dass die Prüfungen passen, aber ansonsten war es 10 Monate lang “Halli Galli”. Und du lernst auch so viele unterschiedliche Kulturen kennen. Da waren ja Spanier und Deutsche und Iren und Kanadier usw. Das war eine ganz neue Welt für mich.
Ich war auch letztes Jahr im November zum ersten Mal seit 1994 dort. Und ja… Ich musste mich fast ein bisschen zusammenreißen, dass ich nicht enttäuscht war.

Weil die Erwartungen so groß waren?

Ja, genau. Und ich hatte es so groß in Erinnerung – gewissermaßen.
Eine lustige Geschichte: Nach meiner Zeit in Dublin habe ich meine Tante zu Hause in Dornbirn besucht. Und ich hab das Haus nicht mehr gefunden – weil ich im Kopf gespeichert hatte: “Das ist ein Hochhaus”. Aber nach meiner Zeit in Dublin hab ich natürlich unter “Hochhaus” etwas ganz anderes verstanden. Also ich bin mehrfach an dem Haus vorbei gelaufen und dachte immer: “Da drin kann sie nicht wohnen, das war ein Hochhaus!”. Also da sieht man, wie die Dinge und die subjektive Wahrnehmung sich verändern.
Oder das Europäische Forum Alpbach. Auch super spannend! Weil Alpbach verändert sich zwar , aber ich verändere mich schneller als Alpbach. Also diese sich verändernde Hintergrund-Kulisse ist gleichzeitig ein Spiegel für meine eigene Veränderung, weil ich schneller bin als der Hintergrund. Und damit ist quasi der Schattenwurf spannend auf diesem Hintergrund – super spannend!
Und da kannst dann eben Gamechanger besser erkennen. Wie z.B. meine internationale Vernetzung gewachsen ist, wie neben meinen ehrenamtlichen Rollen auch berufliche Rollen kamen und dann später wieder ehrenamtliche. Auch, wie das Umfeld auf dich reflektiert, wie die Generationen auf dich reflektieren. Wann du vollkommen angekommen bist im Berufsleben… als ein Senior Experte, was schon ein bisschen komisch ist, weil ich mich eigentlich mehr wie ein Student fühle. Aber du kriegst halt irgendwann Seniorität. Oder wie du als Politiker wahrgenommen wirst, im Gegensatz zum Unternehmer , wie deine Öffentlichkeit steigt, usw. Also ja – nochmal zur ersten Frage – Gamechanger gibt´s viele! Was sind denn Deine Gamechanger? Würde mich interessieren.

Pfuh… Da muss ich überlegen… Einer der größten Gamechanger für mich war kurz, nachdem ich mich mit 18 Jahren selbständig gemacht habe. Da habe ich was in der Richtung Online Marketing gemacht und die ersten Wochen ist es natürlich überhaupt nicht gut gelaufen. Ich habe mein ganzes Geld investiert und keines verdient. Dann kamen die großen Rechnungen von Versicherungen und Co. Also long story short: Es ist überhaupt nicht gut gelaufen mit der Selbstständigkeit. Und dann kam ein Jobangebot – ein sehr , sehr gutes. Und ich hab´ dummerweise meinem Umfeld davon erzählt und dann wurde mir von jeder einzelnen Person sehr intensiv eingeredet, dass ich dumm & blöd wäre, wenn ich dieses Angebot nicht annehmen würde. Ich hab damals auch schmerzhaft realisiert, dass ich eigentlich der einzige war , der unter allen Umständen hinter mir stand. Und ich hätte für diesen Job wohl meine Selbstständigkeit wieder an den Nagel hängen müssen. Und ich hab´ mich dann zum Glück gegen meine Familie & Freunde gestellt und das Jobangebot nicht angenommen, sondern hab mich für meine Selbständigkeit entschieden. Das war für mich ein großer Gamechanger , weil ich gemerkt habe, dass ich nicht zu sehr auf die Meinungen anderer hören darf. Sondern auf mich und was mein Herz und Bauchgefühl sagt.

Du bist der Stimme deines Herzens gefolgt. Ein Pilot. Finde ich toll.

Danke. Das war wichtig für mich und meinen Selbstvertrauen.

Und können sie´s heute nehmen, dass Du so gehandelt hast?

Mittlerweile… die meisten – glaube ich – schon.

Hah, ja. Lustig. Aber find ich schön.

Nochmal zurück zu Dir, weil wir gerade auch über das Umfeld sprechen. Wenn Du zurückdenkst an Deine Dublin-Zeit. Wie war damals Dein persönliches Umfeld?

Also ein bisschen früher , in der Oberstufe, war ich zum Beispiel der einzige aus unserem Dorf. Das heißt, ich war auch vom Sozialleben ein wenig abgekapselt. Also ich war in der Schule und bin mit dem Bus heimgefahren und dann war ich wieder im Dorfleben. Das sind zwar nur 20 Kilometer , aber als Jugendlicher war das quasi unüberwindbar.  Aber trotzdem war ich gut integriert und war auch meistens Klassensprecher. Ich bin auch ein Gruppenmensch und Einzelgänger gleichzeitig. Insofern hat sich das eh ganz gut getroffen.

Finde ich spannend, dass Du sagst, Du bist “Gruppenmensch und Einzelgänger gleichzeitig”.  Wie lässt sich das im Leben vereinbaren?

Das ist z.B. dass ich meine Auszeiten brauche. Jetzt zum Beispiel lieb ich´s, Termine alleine wahrzunehmen. Ich hab ja auch eine Mitarbeiterin und könnte sie öfter mitnehmen. Aber ich mag´s gern alleine. Dann bin ich z.B. in Berlin und mache einen Coaching-Workshop oder hänge alleine an irgendeinem See herum auf der Heimfahrt von einem Auftritt oder so.

Ein Freiheitsmensch. Schön.

Ich mag auch einfach das “Alleine-sein” gerne. Und wenn du Kinder hast und verheiratet bist, dann bist du ohnehin in den Verbund gebettet. Sodass ich das “Alleine-sein” jetzt auch nach diesen sieben intensiven Jahren in der Politik, wo du ja immer jemanden um dich herum hast, sehr genieße.
Vielleicht habe ich ja irgendwann wieder Lust auf mehr Kollektiv. Im Moment genieße ich es aber so, wie es ist.
Auch meine drei Wochen alleine in Indien – also alleine durch Mumbai zu spazieren fand ich großartig! Ich bin da abgestiegen in einem lokalen Hotel, wollte bewusst kein 4-Sterne-Haus nehmen, weil die ja überall gleich ausschauen. Ich wollte die spezifische Qualität von vor Ort spüren.
Und dann hab ich gebucht “Hotel Empire”. Klingt recht massiv, oder? Ich war dann im Stadtviertel spazieren und hab dort keinen einzigen Weißen gesehen – nur Inder und mich. Trotzdem hat mich niemand angestarrt, oder angesprochen. Das ist zwar ungewöhnlich für die, aber die denken sich halt: “Na, ist halt einer da so what?”. Das war wirklich großartig – wie eine Expedition auf den Mars – wenn du merkst: Ich bin anders als all die zehntausenden Menschen, die um mich herum sind – im Sinne von Hautfarbe, Lebensgeschichte, Sozialisierung; und trotzdem gehören wir alle zusammen. Das ist schon wirklich schön.

Stimmt. Sowas ist wirklich schön. Das sagen ja auch viele Astronauten, dass man da oben die Erde so zerbrechlich sieht und merkt, dass wir eigentlich alle zusammengehören.

Ja, stimmt.

Lass uns in der Zeit nochmal nach vorne springen. Ende der 90er-Jahre hast Du gemeinsam mit einem Freund deine erste Firma gegründet. Und parlamentarischer Mitarbeiter warst Du auch noch…

So Ende der 90er und Anfang der 2000er war das, stimmt. Das war mit dem Ronny Hollenstein. Also ich war ja vorher schon selbständig als Trainer. Hab das auch über viele Jahre ehrenamtlich gemacht. Hab in der ÖH-Zeit nochmal eine Trainer-Ausbildung drauf gelegt.
Und diese Ausbildung war extrem gut. Die wurde damals von Linken veranstaltet und ich war quasi der Eindringling. Die wollten mich aber eh nicht drin haben, weil ich “die Kriterien nicht erfülle”. Und ich hab dann aber gemeint: “Hey, ich bin Tutor ehrenamtlich. Und das hier ist eine Ausbildung für Tutoren. Womit wollt ihr mir das verbieten?”. Das war insgesamt einfach ein sehr linkes Projekt. Die wollten einfach unter sich bleiben. Und ich hab die Linken zwar immer gemocht, aber…
…ich bin normalerweise kein Macht-Spieler. Macht interessiert mich zwar schon, aber ich bin nicht geil auf Macht. Sie interessiert mich deshalb, weil sie einen Möglichkeitsraum eröffnet. Das negative Verständnis der Macht ist in Österreich und Deutschland zwar historisch bedingt, aber da bin ich hoffentlich therapeutisch drüber hinweg. Ich kann das alles sehen, was wir mit-verbrochen haben, aber ich bin nicht schuldig.
Aber so wie Geschwindigkeit potentiell tödlich ist, aber nicht prinzipiell schlecht, ist auch Macht nicht prinzipiell schlecht.
Und, zurück zu der Story, ich hab dann zu diesen Linken gesagt: “Entweder komm ich in diese Ausbildung rein, weil ich einfach eine positive Motivation dafür hab oder ich mach den Budget-Beschluss nochmal auf im bundesweiten Parlament.”. Das war die einzige Sprache, die sie verstanden haben. Und dann durfte ich auch mitmachen. Das waren dann extrem Hierarchie-freie Räume.
Und ich habe dann damals auch gelernt: Je weniger Hierarchie, desto mehr Hierarchie. Denen war das immer so wichtig, dass alles ohne Hierarchie abläuft, aber ich habe selten so starke Hierarchien erlebt – in ihrer Hackordnung so klar aufgeladen.
Durch diese Ausbildung bin ich zum Gruppendynamiker geworden. Also ich hab dann noch viele, viele Ausbildungen gemacht.
Aber nochmal zurück zur Frage – aus diesem Ehrenamt heraus hab ich immer wieder viele Non-Profit-Organisationen begleitet in der Team-Entwicklung oder auch der Strategie-Entwicklung und im Coaching und von dort bin ich in die BusinessWelt hinein gewachsen.
Und dann kam aber noch was anderes. Ein WG-Mitbewohner vom parlamentarischen Mitarbeiter vom ÖVP-Abgeordneten Karlheinz Kopf hat mir damals im Rausch gesagt: “Ich werde dich empfehlen als Nachfolger!”. Und ich hab gesagt: “Sicher nicht. Darauf hab´ ich keinen Bock.”.  Ich war da grade fertig mit ÖH und habe mein Doktorat angefangen, war auch noch selbständig nebenher – bzw. war ich hauptsächlich selbständig und hab das Doktorat nebenher gemacht.
Irgendwann war ich auch am WIFI und habe arbeitslose Jugendliche als Persönlichkeitsentwicklungs-Coach begleitet. Auch das war ein Gamechanger für mich, weil ich da soziale Milieus näher kennengelernt habe, die ich so vorher nicht erlebt habe. Da waren auch ein paar wilde Geschichten dabei. Zum Beispiel waren wir auf der Donauinsel und die türkischen Mädels haben ihre Freunde angerufen und haben einen Österreicher mit leichtem Hang zum Neo-Nazismus in die Mangel genommen – und ich hatte die Aufsicht. Und ich hab versucht, irgendwie zu vermitteln und die Situation zu entschärfen und war dann auch stolz, dass ich das halbwegs hinbekommen hab. Dann habe ich sie früher entlassen und komme zur UBahn und sehe den Typen mit so einem roten Auge. Also die haben ihn quasi in meiner Aufsichtspflicht zusammengeschlagen. Und da hatte ich natürlich Muffensausen.
Am Montag danach kam dann auch noch ein Mädchen, dass da involviert war , zu mir und meinte: “Ich muss dir etwas beichten”. Und ich: “Ja, du hast allen Grund, mir etwas zu beichten. Weil das war echt ungut für alle Beteiligten, was ihr da veranstaltet habt”.
Doch dann offenbarte sie mir: “Nein, was anderes. Ich wurde am Sonntag mit einem gestohlenen Auto erwischt.”
Sag ich: “Bist du verrückt? Zwei Tage vorher das und dann klaust du ein Auto?”
Und sie meinte nur: “Naja, der Schlüssel ist gesteckt. Und mein Bruder hat´s halt mitgenommen”.
Ich meinte: “Das ist doch kein Grund”, aber sie sagte: “Wieso nicht? Wenn der Schlüssel steckt, kann man´s schon mitnehmen.”
Also da hat´s mir echt die Sicherungen rausgehaut.
Naja, aber zurück zum Thema… irgendwann kam dann ein Anruf und “Karlheinz Kopf wolle mich sprechen”. Ich hab nachgefragt, worum´s geht und er meinte dann “Naja, parlamentarischer Mitarbeiter”. Und ich hab dann dankend abgelehnt und meinte: “Nein, ich bin selbständig und Doktorat… interessiert mich nicht, danke!”. Er meinte aber , ich soll trotzdem kommen und blieb hartnäckig.
“Nein, hat keinen Sinn, danke” “Ich soll trotzdem kommen” Dann irgendwann hab ich gemeint: “Na gut, dann schau ich halt vorbei”.
Und dann war der Karlheinz Kopf irgendwie cool. Der hatte die Füße auf dem Tisch und meinte, er will mich haben. Ich hab ihn nicht gekannt, er mich nicht. Und ich hab ihm dann noch gesagt, dass ich nicht immer schwarz gewählt habe, sondern auch grün, liberal,…
Aber das war ihm alles egal. Er wollte mich haben.
Und dann habe ich – in dieser Situation – wirklich Ja gesagt.
In dieser Situation hab ich gelernt, dass der Bauch mitunter weiter ist, als der Kopf. Der Bauch hat in der Situation ja gesagt und das Herz auch. Das war auch eine wichtige Entscheidung.
Und dann hatte ich plötzlich fünf Büros. Mit dem Ronny Hollenstein hatte ich das Trainingsunternehmen “ic2”. Ein Büro zu Hause, zwei parlamentarische Büros und ein Projekt-Büro für ehrenamtliche Dinge. Das war alles ein bisschen viel.
Dann haben Ronny und ich einen großen Auftrag von BMW bekommen und beschlossen, eine GmbH zu gründen. In dem Zusammenhang hab ich dann entschieden, mit dem Traineeship aufzuhören und auch aus dem Parlament zu gehen.
Ich war damals tagsüber immer bei Kunden und nachts hab ich im Parlament gearbeitet. Irgendwann ist der Karlheinz Kopf aber beruflich wieder nach Wien gekommen und hat dort gelebt. Und dann ist das nicht mehr aufgegangen.
Ich habe ihm mein Vorhaben auch geschildert, aber er wollte mich nicht gehen lassen. Ich bin ihm entgegengekommen und habe gemeint, dass ich dann einen Konsulenten-Vertrag bräuchte. Und so wurde ich dort Konsulent und war das ganze acht Jahre lang. Ich hab dort auch die ganze Teamentwicklung aufgebaut und wir haben Mentoringprogramme erfunden für die Politik – unser Mentoringprogramm hat der Sebastian Kurz z.B. auch gemacht.
Und über die Teamentwicklung bin ich irgendwie in die Politikberatung gekippt. Ich hab aber auch immer drauf geschaut, viele Business-Kunden zu haben, weil ich nicht von der Politik abhängig sein wollte. Und das Unternehmen ist dann gewachsen und gewachsen…

Und dann hast Du 2011/2012 die NEOS gegründet – also, ebenfalls gemeinsam mit einem Partner.

Ja, genau. 2011 bin ich aus der Firma ausgestiegen und bin in die Gründer-Rolle gegangen.

Für dieses Vorhaben, eine neue Partei in Österreich zu etablieren, braucht´s doch eine riesen Portion Mut, oder nicht?

Es gibt ja viele, die den Mut haben. Seit 1975 gab´s über 1000 Parteigründungen in Österreich.
Aber Du hast schon recht. Es braucht viel Mut, viel Know-How, langen Atem, auch Glück.

Beschreib´ bitte mal, wie das ab der Gründung bis zum Einzug in den Nationalrat ausgesehen hat. Das war ja eine Mammut-Leistung, wie schnell ihr das geschafft habt. 2011/12 die Gründung einer ganz neuen Partei und 2013 der Einzug ins Parlament mit weit über 230.000 Wählerstimmen. Wie ist euch das gelungen?

Ich hab mal an einem Buch vom Erhard Busek mit geschrieben. “Was wir falsch gemacht haben” – so irgendwie hieß das Buch. Die Generation über 60 im Rückspiegel quasi. Damit bin ich irgendwie ins Schreiben gekommen und mit dem selben Verlag hab ich dann auch mein erstes eigenes Buch geschrieben “Warum wir Politikern nicht trauen – Und was wir tun müssen, damit sich das ändert”. Und de facto war das eine Vorlage – ein Blueprint – zur Gründung einer Partei. Das hab ich mir aber damals nicht zugestanden. Ich hab das Buch damals auch einem Freund zum Lesen gegeben und der meinte, das Buch finde er gut, aber eigentlich ginge es um etwas anderes. Und das hat mich damals sehr beschäftigt. Ich fragte ihn dann. “Was, sags mir?”. Aber er blieb kryptisch.
Ich wusste immer , dass ich mal in der Politik sein werde – das hab ich gespürt. Das war sowas, wie eine innere Notwendigkeit. Davor hatte ich auch Angst, aber ich wusste eben, dass diese Zeit kommen wird. Aber ich hatte sehr viel Angst-Lust und die Lust war so groß, dass die Angst kleiner werden musste – weil die Lust konnte eigentlich kaum mehr größer werden.
Ich konnte die Lust aber auch immer gut stillen – z.B. mit politischen Beratungsaufträgen, und auch ehrenamtlichen. Außerdem – verheiratet und mit 3 Kindern bist du auch gut bedient.
Als es dann aber näher rückte mit dem Partei-Gründen hab ich gesagt: “Drei Kriterien müssen erfüllt sein: . Drittes Kind muss durchschlafen . Ich muss eine Fantasie haben, dass die Firma überlebt, wenn ich gehe . Die Angst muss kleiner sein als die Lust”
Ich hatte damals viel Angst und wusste, die muss irgendwie kleiner werden.
Dafür bin ich dann in den Wald gegangen – für eine Vision-Quest – um mich der Angst zu stellen. Und das hat mir sehr geholfen.
Also weil Du ganz am Anfang gefragt hast, was große Gamechanger waren. Das war einer.
Auf das Buch hinauf hat mir der Erhard Busek einen Brief zukommen lassen, in dem er gemeint hat: “Ist ja ein schönes Buch, aber noch wichtiger wäre TUN!”. Und ich hab gesagt: “Das werde ich auch, wenn die Zeit reif ist. Aber dann musst du mir versprechen, dass du mir hilfst” – das hat er mir tatsächlich versprochen und er hat mir dann später auch geholfen.
Irgendwann hat mich ein Bekannter , der Veit Dengler , angerufen und meinte: “Du Matthias, die Zeit ist reif!”. Und die Zeit war reif.
Also trafen wir uns bei der Bäckerei „Mann“ in der Mann-City in Liesing und beschlossen, wir machen einen Workshop mit 15 Gleichgesinnten im Jänner. Es ist Februar geworden, aber dafür mit 40 Leuten. Und das war der Kickoff für die NEOS. Da war die Energie da mit den Leuten, die Entschlossenheit. So ab Februar 2012 bis September 2013 haben wir dann 13 Klausuren gemacht mit etwa 40-250 Personen. Und dazwischen haben wir dutzende Arbeitsgruppen gemacht.
Und das mussten wir alles zusammenbinden, das war eine wahnsinnige SocialEngineering-Aufgabe.
Gerade in der Gründungsphase hatten wir dann quasi jeden Tag eine Krise und das hat natürlich unglaublich viel Energie gefordert.

Woher kam denn diese ganze Energie? So einen Energiespeicher kann man ja nicht immer nur ausleeren, den muss man ja auch mal wieder betanken und auffüllen.

Das war einerseits die Natur, die Familie. Aber größtenteils einfach die Klarheit im Herzen. In der Früh habe ich damals oft meditiert und ich war damals auch spirituell
sehr geladen. Das war also wirklich ein Auftrag.

Richtig intrinsisch motiviert.

Eine mission from god. Das hab ich einmal augenzwinkernd in einem Interview gesagt. Eine richtige Berufung. Und die ist dann eben 2018 abgereift, weil die Gründungsphase der NEOS abgeschlossen war.

Das Berufungs-Thema interessiert mich. Also, wenn man den Willen hat, seine Berufung zu finden, und sie sich einem nicht selber offenbahrt, soll man ja, würde ich sagen, sehr tief in sich hinein horchen. Aber, ganz einfach gefragt, wie macht man das denn?

Indem man erst einmal die Fähigkeit kultiviert, die Stimme des Herzens zu vernehmen. Jeder von uns hat sie! Manche interessieren sich halt nicht dafür und manche glauben auch, sie nicht zu hören. Und dann kann ich nur raten, geschützte Räume aufzumachen, besser hinzuhören. Also Fasten ist zum Beispiel ein geschützter Raum – eine Woche lang ohne Handy, ohne Verpflichtungen.
Berufung ist ein wirklich großes Wort. Etwas Abstraktes und trotzdem etwas Konkretes.
Also – Die Natur ist ein guter Rahmen für viele, Meditieren ist ein guter Rahmen für viele – auch auf die eigenen Kinder meditieren ist ein guter Spiegel für uns – ein unverhandelbarer – das ist ein Weg zu mir selbst. Auch die Kunst – für manche. Diesen Weg lerne ich gerade noch, weil meine Frau Künstlerin ist. Die Religion kann auch ein Weg zu sich selbst sein. All diese Wege können jedoch auch verunfallen und zur Obsession werden, zwänglerisch werden.
Also alles Gute kann sich in übersteigerte Pathologie verwachsen.

Ja. Mit dem Messer kann man Brot schneiden und auch einen großen Schaden anrichten.

Ganz genau.

Abschlussfrage, Matthias. Wir sind leider fast schon am Ende unserer Zeit. Wenn Du auf einer Bühne vor 7,7 Mrd Menschen stehen würdest, also der gesamten Weltbevölkerung, was würdest Du sagen wollen?

Pfuh. Weiß ich nicht.

Ich mache den Download immer aus dem Kollektiv. Also wenn ich in diese Situation käme, dann käme ich nur dort hin, weil mich eine Berufung dort hingeführt hätte. Und diese Berufung würde Wurzeln schlagen an meinem inneren Ort. Und dieser innere Ort wäre in Klarheit und gleichzeitig verbunden mit der Essenz. Und über diese Klarheit und Essenz bekomme ich die Eingebung, was ich sagen würde.
Aber – wahrscheinlich hätte es was mit Liebe zu tun.
Ich habe auch meine Reden im Parlament einerseits schon vorbereitet, aber andererseits auch immer aus dem Hier und Jetzt geschöpft. Das ist eine Art von Download, wie sie Künstler machen.
Ich merke auch, dass ich mich zunehmend als Künstler verstehe. Ich sag´s nur nicht öffentlich.

Darf ich´s denn schreiben?

Jaja, sicher. Jetzt war er Pilot und Gärtner des Lebens und Flügel-Heber – jetzt will er Künstler auch noch sein. Das verwirrt die Menschen.
Aber auf der anderen Seite ist es ja nicht so, dass die Leute dasitzen und über Matthias Strolz nachdenken, also…

Naja…

Du schon… Oder vielleicht ein, zwei, drei Leute. Nein, ich frag mich selber auch immer wieder: ist es ernsthaft genug? – weil ich auch so viel gleichzeitig mache. Und ja, das ist es. Weil ich ja de facto immer das Gleiche mache. Also ich bin immer am Thema “Entfaltung” dran. Ich mache immer das Gleiche – egal ob als Vater , als Unternehmer , Gründer, Partei-Gründer, Film-Schaffender, Buch-Autor, Patenonkel… All das schöpft sich aus der selben Quelle, nämlich aus dem “Gärtner des Lebens”. Meine Berufung ist, Wachstum zu begleiten, Entfaltung zu fördern, soziale Felder zu kultivieren.
Ich folge einfach immer meiner Seele und meinem Wesenskern.

Ich hab auch länger über Deine Bezeichnung nachgedacht, dass du sagst, du seist  ein Gärtner des Lebens und kultivierst soziale Felder. Und ich finde das total schön, weil das so wundervoll zusammenfasst, was Du dein Leben lang in den verschiedensten Facetten machst.

Das ist sehr schön, wenn Du das so siehst. Weil es gibt ja auch bei mir Momente des Zweifels.

Es beschreibt zauberhaft, was Du machst.

Ja, es geht um Lebendigkeit.
Ich glaube, das Leben hat keinen anderen Sinn und Zweck, als das Leben. Und wenn das so ist, dann bin ich in der Pflicht, das Leben zu fördern und zu ehren. Darüber schreibe ich auch in zwei von meinen Büchern – die Liebe zur Lebendigkeit. Im neuen Buch nicht mehr , weil ich wiederhole mich eh schon zu oft, habe ich das Gefühl.

Danke, Matthias. Für deine Bücher und das tolle Gespräch!

Es hat mich sehr gefreut!


Interview vom 5 • November • 19 in Wien

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